Die tief stehende Morgensonne leuchtet durch den über den Wiesen wabernden Bodennebel. Ja, es wird eindeutig Herbst! Bevor jedoch das subterrane Reich für den Winter den Fledermäusen überlassen wird, müssen wir schon noch mal ein bisschen am Seil herum schwingen. Um neun Uhr treffen Irene und ich uns auf einem Parkplatz bei Weißenstein mit Bernhard. Ein kurzes Hallo und ein Handschlag und wir fahren zusammen in einem Auto noch ein Stückchen weiter ins Zielgebiet. Ein Fußmarsch von hammerharten 500 m bringt uns an den Rand des Abgrunds: Der Fetzerschacht wartet auf uns!
2003 haben wir diesen Schacht entdeckt und waren seither nie mehr unten. Höchste Zeit, einmal wieder nach dem Rechten zu sehen. Nach dem Anschlazen räumen wir das Holz und die Steine am Eingang weg, was uns etwa 20 Minuten kostet. Die Frage nach der Seilbefestigung bereitet uns jedoch einiges Kopfzerbrechen. Genau gesagt, die nach der am wenigsten lebensmüden Seilbefestigung. Der gesamte obere Teil des Schachts ist komplett labil und brüchig. Im Nachhinein treibt es mir den Angstschweiß den Rücken hinunter, wenn ich sehe, wie wir vor zehn Jahren unsere Bohranker in einem Material gesetzt haben, bei dem es sich im Wesentlichen nur um verkitteten Verbruch handelt. Ein Wunder, dass die Anker nicht aus dem Bröselmist gefallen sind. Ein zweites Mal wollen wir unser Glück lieber nicht strapazieren. Nach einigem Herumprobieren finden wir eine brauchbare Lösung: Das Seil wird draußen an einem Baum angebunden. Unter dem Schachtmund bohren wir einen Anker mit einem Karabiner, durch den das Seil umgelenkt wird. Dadurch bleibt das Seil weg von potenziellen Reibestellen und der Expressanker wird bei einer Umlenkung nicht ganz so stark belastet wie bei einer normalen Zwischenbefestigung. Außerdem setzen wir zwei Seilschoner an weiteren Reibestellen ein und das passt dann soweit.
Seidenweich schweben wir nacheinander am Seil 13 m in die Tiefe. Naja, ich nicht, weil ich mit dem Schleifsack einmal ordentlichen Steinschlag auslöse. Der Mordanschlag verfehlt jedoch seine angedachten Opfer. ;)
Unten sind wir alle von der Größe der Halle beeindruckt. Ich habe sie auch nicht mehr so groß bzw. hoch in Erinnerung. Die Örtlichkeit habe ich schon früher beschrieben, so dass ich hier nichts mehr hinzuzufügen habe. Bei den Befahrungen vor knapp zehn Jahren waren mir die vielen verpilzten Spinnen aufgefallen. Diese gibt es nicht mehr. Stattdessen haften an den Wänden die gleichsam auseinander geflossenen Reste der Krabbeltiere. Der reinste Spinnensplatter! Außerdem finden wir einen winzigen Frosch zwischen den Steinen.
Wir nehmen uns die Zeit, alles genau anzuschauen. Die Höhle ist nämlich gar nicht schlecht. Mit ihren glatten, senkrecht aufragenden Wänden und dem scharfkantigen Versturz kommt man sich schon ein bisschen vor, wie in einer alpinen Höhle. Bernhard und ich packen unsere Fotoapparate aus und legen los. Irene muss wie üblich mit dem zweiten Blitz quer über die Felsbrocken hüpfen und Licht ins Dunkel bringen. Ich filme auch ein bisschen.
Schließlich geht es wieder aufwärts. Irene steigt als erste hoch, wobei sie am Seil baumelnd geknipst und gefilmt wird. Ich folge und fotografiere Bernhard beim Nachstieg.
Wir tarnen den Eingang wieder und treten den Weg in die Heimat an.