Am heiligen Sonntag Morgen, dem 13. Januar 2002, schickte ich mich allen Ernstes an, die Nebelhöhle zu befahren. Bevor nun einer denkt „Iihhhh, der Roger befährt auf einmal Schauhöhlen“, muss ich hinzufügen, dass ich nicht von der Nebelhöhle auf der Schwäbischen Alb spreche, sondern von der Nebelhöhle im Taunus. Dieselbe ist 1999 von der Höhlenkundlichen Arbeitsgruppe Hessen entdeckt worden und weil ich sowieso dienstlich nach Frankfurt hoch musste, bot es sich an, ein paar Höhlen zu besuchen.
Ich traf mich kurz nach Zehn in Frankfurt mit Bernd und Yvonne und nach kurzem Small Talk ging es schon gemeinsam hinaus in den Karst. Unterwegs stießen noch weitere Höfos zur Gruppe hinzu.
Wir fuhren alle zu einem Waldstück bei Hahnstätten, wo sich Yvonne, Steffi, Torsten, Klaus und ich in die Höhlenmontur stürzten. Nach ein paar Schritten standen wir im Wald vor einem in den Boden einzementierten Metalldeckel, den die Kameraden flugs aufsperrten. Hinter dem Deckel führt ein ca. 70 cm weites Blechrohr ungefähr 45° steil hinab in die dunkle Tiefe der Nebelhöhle. In dem Rohr steht eine Aluleiter, die wir nacheinander hinab kletterten. Das Rohr mündet nach ein paar Metern in die Decke einer stark verstürzten und zum großen Teil ausgegrabenen Halle. Unten angekommen, bemerkte ich direkt unter der Leiter einen weiteren eingemauerten Deckel, den Yvonne aufschloss. Mann, eine zweifach verschlossene Höhle – wollten die das Teil zu einem Tresor ausbauen?
Weil die Höhle keinen natürlichen Eingang besitzt und der künstlich geschaffene Eingang so massiv verschlossen ist, ist sie ausgesprochen arm an makroskopischen Lebensformen: Die obligatorischen Spinnen etc. sind sehr selten und Fledermäuse gibt es auch nicht.
Wie dem auch sei, unter dem Deckel folgt ein zweites, senkrechtes Rohr, in dem es über eine Strickleiter etwa 3 m abwärts ging. Danach kommt nochmal ein kleiner, verblockter Absatz mit einem Handseil. Während wir auf die anderen warteten, scheuchte mich Yvonne nach links in einen kleinen Seitenschluf, dem ich etwa 20 m weit folgte. Die Höhle liegt in devonischem Massenkalk, in den auch Sandsteine und Glimmerschiefer eingeschaltet sind. Die Schichten sind tektonisch stark verstellt und an einigen Stellen hat die Verkarstung den Sandstein und Schiefer an den Höhlenwänden freigelegt. Der Glimmer glitzerte (daher heißt das Zeug auch so) richtig schön an den Wänden des Schlufs. Der stark mit Glimmerflitter durchsetzte Höhlenlehm verlieh meiner Haut gegen Ende der Tour einen interessanten metallischen Touch. Alien lässt grüßen! Dieser seltsame Höhlenlehm hat sich übrigens besonders in Kunststoffteile meiner Ausrüstung außergewöhnlich hartnäckig festgesetzt und ich musste schrubben wie blöde, um meine Sachen wieder sauber zu bekommen. Auch ein Indiz, dass die Zusammensetzung des Höhlenlehms Besonderheiten aufweist.
Ich robbte wieder hinaus zu den anderen, die derweil mit dem Abstieg in die folgende Passage begonnen hatten. Es handelt sich um einen mit zwischen 30 und 50° abfallenden, in Stufen unterteilten Gang mit teilweise recht beachtlichen Dimensionen. In manchen Bereichen ist er durch Inkasion wild verzackt, in anderen kann man noch die eher rundlichen Formen der Erosion durch den Höhlenbach erahnen. Der Blick hinunter durch den steil abfallenden, sich im undurchdringlichen Dunkel verlierenden Höhlengang war schon ziemlich geil! Hier stießen wir auf den ersten Sinter der Höhle in Form von Streuselsinter, der an einigen der Absätze weite Wandflächen überzieht. Yvonne schärfte uns ein, möglichst nicht wie Paul Panzer über den Sinter zu walzen, aber das ist ja wohl klar.
Wir hangelten uns Hand über Hand an Halteseilen über zwei Stufen abwärts. Der untere Bereich weist wiederum großflächigen Streuselsinter auf, der hier sogar schön weiß ist. Die Höhle schwenkt nun nach links und nach einer kurzen Bückstelle standen wir auf einmal am Rande eines geräumigen Schachts, in dem bereits eine Leiter und ein Seil hingen. Wir schnallten uns nun das mitgebrachte Schachtgeraffel um und petzlten die etwa 10 m hohe bzw. tiefe Stufe hinunter. Unten rutschten wir über einen kleinen Schuttkegel und betraten in einer Tiefe von rund 80 m unter dem Einstieg einen Bergwerkstollen.
Im Barbarastollen wurde bis 1960 Eisen abgebaut, klärte mich meine Reiseleiterin Yvonne kompetent auf. Beim Vortrieb der insgesamt ursprünglich mehrere Kilometer langen Stollen wurden immer wieder Karsthohlräume angeschossen, u.a. eben auch die Nebelhöhle. Die HAGH wurde von der Gemeindeverwaltung vor wenigen Jahren damit beauftragt, die alten Grubenbaue zu erforschen und vor allem sollte sie herausfinden, ob das Sickerwasser im Stollen zur Trinkwasserversorgung genutzt werden kann. Letzteres war zwar ein Fehlschlag, dafür fühlten sich die Höfos in den angeschnitten Karsthöhlen ganz in ihrem Element. Dabei erforschten sie die Nebelhöhle vom Bergwerk aus von unten nach oben. Bei ihren Untersuchungen fuhren die HAGHler mit einer Seilwinde durch einen alten Wetterschacht in das Bergwerk ein, was aber wegen Auflagen nur befristet möglich war. Durch ihre Vermessung fanden sie jedoch heraus, dass der obere Bereich der Nebelhöhle bis kurz unter die Erdoberfläche reicht. Also ließen die Frankfurter kurzerhand einen Bagger kommen und einen neuen, „privaten“ Eingang freischaufeln! Durch diesen erfolgt, wie auch bei der heutigen Tour, nun der Einstieg in die Höhlen und in die Grube.
Wir latschten nun gemütlich in den noch begehbaren Stollen herum, die für mich ziemlich interessant waren. An vielen Stellen sind noch die alten Installationen vorhanden, wie z.B. die Schienen der Grubenbahn, Werkzeuge, Drainagerohre und Verbauungen aus Beton und Stahlträgern, aber auch nur aus Holzbalken und aufgeschichteten Natursteinmauern. Der größte Teil der Gänge ist jedoch frei tragend. Das Gangprofil ist meistens rechteckig mit einer Breite von 2 bis 3 Metern und 3 m Höhe. Die Länge der Gänge, die wir betraten, kann ich nur grob schätzen: Ein paar Hundert Meter. Es gibt 3 Seitengänge. Einer zweigt vom Hauptgang nach rechts ab und geht in eine große, steil ansteigende Halle über, die wir mit unseren Helmlampen kaum vollständig ausleuchten konnten. Steffi und Yvonne machten sich einen Spaß daraus, auf den Schuhsohlen die schräge Schutthalde hinunter zu rutschen, während ich meine Umgebung fotografisch exekutierte.
In einem anderen Seitengang, der in der Nähe der Halle nach links vom Hauptgang abzweigt, steht eine niedrige Betonmauer, die das Sickerwasser aufstaut. Hier hoffte die Gemeinde auf Trinkwasserquellen zu stoßen. Die Menge ist jedoch vollkommen unzureichend, ich schätze die Schüttung auf weniger als einen Liter in der Sekunde. Torsten kletterte ein Stück weit nach hinten, um Temperaturmessungen zu machen, während wir uns umschauten.
Geradeaus ging der Hauptgang wohl noch ein gutes Stück weiter, doch kurz nach der ersten Befahrung durch die Höfos, stürzte der Stollen ein, womit sich die Länge des Grubenbaues drastisch verkürzte.
Im Hauptgang, zwischen der Nebelhöhle und dem verstürzten Ende, versuchte Yvonne uns die Barbarahöhle schmackhaft zu machen. Klaus und ich schleppten eine eiserne Fahrt an den Eingang der Höhle, die sich in der Firste des Stollens öffnet. Torsten kletterte rauf und verschwand in dem engen Loch. Ich stiegt ebenfalls hoch und steckte meinen Kopf rein, doch der Anblick, wie sich Torsten in der sackengen Spalte abmühte, turnte mich ziemlich ab. Ich zog es vor, zu kneifen.
Wir folgten dem Haupttunnel am Einstieg in die Nebelhöhle vorbei in die Gegenrichtung, von dem nun bald der dritte Seitengang abzweigt, der es wirklich in sich hat. Nach ein paar Metern befindet sich im Gang eine horizontale Betonplatte, aus der schneeweiße Makkaronis von mehr als einem Meter Länge in größerer Zahl gewachsen sind! Der gebrannte Kalk im Beton eignet sich offensichtlich vorzüglich für die Verkarstung und die Tropfsteinbildung, denn anders ist es nicht zu erklären, dass so lange Stalaktiten in nur 40 Jahren heranwachsen konnten.
Nach einer kleinen Fotosession schluften wir vorsichtig unter den Makkaronis hindurch und folgten dem Gang weiter zu einer Ansammlung von langsam abfließendem Wasser. Auf einem alten Wasserrohr balancierten wir über dem Wasserspiegel weiter nach hinten. Dort erreichten wir abermals eine Staumauer. Nach ungefähr weiteren 10 bis 15 m scheint der Stollen im Versturz zu enden, doch bislang ist noch niemand mit einem Neoprenanzug durch den angestauten Höhlensee geschwommen, um das genauer zu überprüfen.
Der Stollen führt teilweise durch Schiefer und die anderen nutzten die Gelegenheit, um ein paar „Glitzersteine“ zu sammeln. Ich für meinen Teil fand die im Dunkeln phosphorizierenden Pilze auf den herumliegenden Grubenhölzern interessanter.
Nun wurde es aber mal wieder Zeit, den Tand, geschaffen von Menschenhand, zu verlassen und ein wenig in den Karst einzudringen. Wir kehrten in den Hauptgang zurück und ein kurzes Stück weiter ist links der Einstieg in eine weitere Höhle angeschnitten. Wir quetschten uns durch den etwas mühsamen, da verblockten Eingangsschluf und erreichten eine kleine Halle. Unterwegs fanden die anderen eine alte Weinflasche, die noch verkorkt und mit einer braunen Flüssigkeit gefüllt war. In der Flüssigkeit schwamm eine gelbliche, hirnähnliche Masse und wir rätselten darüber, was das mal war und ob uns die giftigen Gase töten würden, sollte die Flasche beim Transport zerbrechen. Auf jeden Fall handelt es sich noch um ein Relikt aus der Zeit des Bergbaus.
Nun denn, wir kletterten von der Halle aus in einer Folge von kleineren Gängen und Schlüfen weiter in die Höhe, über die ich nicht besonders viel sagen kann. Waren halt die üblichen Drecklöcher wie auf der Alb. In einem Gang existiert aber ein hübscher Kristallrasen, bestehend aus unzähligen filigranen Kristallnadeln, die rund einen Quadratmeter Fels bedecken. Außerdem erhielt ich hier meine Taufe in Form eines Lehmklumpens, der mir von frecher Frauenhand an meinen Helm geklebt wurde.
Wir kletterten wieder hinunter, unten in der Halle fotografierte ich ein paar Sinterformationen und sodann zwängten wir uns durch die Engstelle wieder hinaus in den Stollen. Ein paar Schritte brachten uns zurück zur Einmündung der Nebelhöhle. Nachdem wir die Gurte gerichtet hatten, stiegen wir der Reihe nach über die erste Stufe auf und bauten das Seil und die Leiter aus. Soweit war alles o.k. und in bester Ordnung. Beim Hochsteigen über die unterste Stufe im Hauptgang musste ich aber bereits ein paar Konditions-Reservebriketts einwerfen und fühlte mich richtig ausgepowert. So verschmähte ich auch Yvonnes Aufforderung, einen dicken Tropfstein in einem Seitengang zu fotografierten, was mir zwar einen Rüffel einbrachte, dafür aber ein paar wichtige Kalorien für den Rückweg ersparte. Zum Glück war ich nicht der einzige schwächelnde Kerl in der Gruppe…
Nichts desto weniger klappte der restliche Weg bis zur Erdoberfläche ziemlich fix und alsbald standen wir unter sternenklarem Himmel in der frischen Winterluft. Wir schlazten uns aus und fuhren zurück nach Frankfurt, wo wir bis spät in die Nacht noch zusammen hockten und fachsimpelten und mir Propagandavideos über den hessischen Untergrund vorgeführt wurden.
Unter dem Strich kann ich sagen, dass mir die Tour gut gefallen hat!