Um zehn Uhr kommen Bernhard und ich auf einem Wanderparkplatz bei Weißenstein zusammen und nach einem kurzen, sozial distanzierten Schnack teilen wir die Ausrüstung auf und walzen schnaubend und in vollendeter Anmut wie zwei Sumatra-Nashörner den Hang hinauf zum Eingang des Vesperstüble. Nein, das ist keine zünftige Bauernkneipe, sondern der Name einer durchaus netten, kleinen Höhle. Deren Neuvermessung ist unser heutiges Ziel. Zuerst entfernen wir den lebensgefährlichen, vergammelten Strick, der dort schon seit Jahren im Schacht hängt und lassen dann unsere eigene Drahtseilleiter hinunter. Flugs geht es hinab in die hadnische Tiefe.
Unten angekommen, ballere ich ich mit dem Fotoapparat die Umgebung nieder und packe anschließend die Vermessungsausrüstung aus. Zwar gibt es schon einen Plan, den ich Anno 1986 zusammen mit Peter A. aufgenommen habe, aber ich traue meinen Fertigkeiten von damals nicht mehr 100%ig über den Weg und die Technik hat sich seither auch erheblich verbessert. Musste ich damals die Raumhöhen noch schätzen, sind selbst hoch über den Köpfen der Höhlenforscher hängende Decken dank Laser-Entfernungsmesser heute kein Problem mehr. Mit dem Laser kann man innerhalb kürzester Zeit jede Menge Daten sammeln und genaue Aussagen zum Verlauf der Höhlenbegrenzung treffen. Wie immer messen wir jede Strecke zweimal, einmal vom Standpunkt zum Zielpunkt und zurück. Dadurch können Messfehler schnell erkannt und behoben werden.
Dementsprechend dauert es über zwei Stunden, bis der Hohlraum aufs Papier gebannt ist. Das amtliche Endergebnis lautet, dass die Höhle 12 m lang und 7 m tief ist. Nicht groß, aber ganz nett.
Wir steigen wieder hoch und feuern die Kletterausrüstung ins Auto und steuern unser nächstes Ziel an. An der betreffenden Höhle war ich über die Dekaden schon dreimal, das letzte Mal allerdings schon 2004. Tja, inzwischen ist der Berghang komplett zugewachsen und obwohl wir uns aufteilen und durchs Unterholz brechen (ihr wisst ja, Sumatra-Dickhäuter…), finden wir das Loch heute nicht! Dabei missfährt mir das Missgeschick, dass ich im Unterholz stolpere und mit dem Auge gegen einen in meine Richtung zeigenden Ast knalle. Zum Glück lenkt meine Brille den Stoß soweit ab, dass ich mit einem Bluterguss an der Braue davon komme und ich nicht künftig der Einäugige (unter den Blinden?) sein muss. Alte Höhlenretterweisheit, auf dem Weg zur Höhle passt viel mehr als im Loch selbst. Als ich Zuhause das GPS-Tracklog auswerte, stelle ich fest, dass wir die Höhle gleich zweimal um jeweils 10 m verpasst haben müssen, einmal linksrum und einmal rechtsrum. Zumindest, wenn die Koordinaten stimmen!
Mittlerweile ist die Zeit vorangeschritten, das Trinkwasser leer und die Motivation verschlissen, weshalb wir gegen 14 Uhr abbrechen und den Nachhauseweg antreten.