Bei der glühenden Hitze, die das Land seit Wochen gängelt, kann man nichts besseres tun, als sich in die wohlige Kälte einer Karsthöhle zurückzuziehen. Wenn man dieser Flucht zudem einen wissenschaftlichen Aspekt hinzufügen kann, um so besser! Irene, Rudi und ich treffen kurz nach 18 Uhr auf dem Rosenstein zusammen und legen schwitzend und dampfend den kurzen Weg zur Dreieingangshöhle zurück. Und was ist der seriöse Hintergrund? – Anno 1987 habe ich mit den damaligen Kameraden die Dreieingangshöhle vermessen und den Plan gezeichnet. Später kamen mir aber mehr und mehr Zweifel, ob der Richtungswechsel am Übergang zwischen der eigentlichen Dreieingangshöhle und der Gegenhöhle tatsächlich so existiert oder ob er auf einen Messfehler zurückzuführen ist. Der heutige Abend dient folglich dem ersten Schritt der lange geplanten Neuvermessung.
Zunächst legen wir im Eingangsbereich der Dreieingangshöhle den Koordinatenursprung fest (der seinerseits in das geodätische Kartengitter eingehängt wird) und ziehen dann den Oberflächenmesszug zur Gegenhöhle. Als Instrumente setzen wir für die Längen- und Neigungsmessung den bewährten Bosch GLM 50 C ein und für die Richtungsmessung erstmals den Peilkompass Iris 50. Praktisch alle Messungen ober- und untertage werden doppelt ausgeführt: Länge, Neigung und Richtung werden je einmal in der Richtung vom Stand- zum Zielpunkt und einmal invers vom Ziel- zurück zum ursprünglichen Standort ermittelt. Die später zur Auswertung eingesetzte Software „Compass“ ist so eingestellt, dass bei einer Abweichung von mehr als zwei Grad eine Fehlermeldung ausgelöst wird. Auf diese Weise können wir die Qualität der Daten sehr gut im Blick behalten.
Der Messzug zur Gegenhöhle ist schnell gelegt. Und was, bitteschön, ist die Gegenhöhle? Bei ihr handelt es sich um den vierten Eingang der Dreieingangshöhle. Er öffnet sich neben dem Zickzackweg, der von der Hochfläche hinunter zur Dreieingangshöhle führt. Erst um 1970 hat man festgestellt, dass die Gegenhöhle und die Dreieingangshöhle ein zusammenhängendes System bilden und da war es natürlich ein paar Generationen zu spät, um den Namen noch in „Viereingangshöhle“ zu korrigieren.
Wir ziehen jetzt die Schutzkleidung über, was zum einen oder anderen Schweißausbruch führt. Schon kurz nach dem geräumigen Eingang wird die Gegenhöhle knalleeng. Bereits in der ersten Engstelle hat der Körper des forsch kriechenden Höhlengängers allseitig Felskontakt. Dann kommt eine Kammer, danach ein noch engerer Schluf, eine weitere Kammer, noch ein Schluf und eine finale Kammer. In der letzten Kammer ist es trotz der wochenlangen Dürre ein wenig feucht. Von ihr führt ein rasch enger werdender Schluf in Richtung Dreieingangshöhle. Der letzte Meter ist schließlich zu schmal, um selbst einem dünnen Höhlenforscher Durchlass zu gewähren. Rudi will aber zumindest Sichtkontakt herstellen, krabbelt aus dem Loch raus, wetzt um den Felsen herum und dringt von der anderen Seite in die Dreieingangshöhle ein. Schon nach ein paar Minuten kann ich hören, wie er sich durch den Geröllgang der Dreieingangshöhle nähert. Dann sehe ich erst sein Licht und als nächstes seine Schuhsohlen, da er das letzte Stück mit den Füßen voraus zurückgelegt hat. Mit dem Lasergerät kann ich herausfinden, dass seine Sohlen genau 1,12 m von meiner Position liegen.
Irene und ich kartieren noch den von der letzten Kammer steil nach oben ansteigenden Gang und robben dann nach draußen. Im Freien trifft uns die Wärme der Tropennacht wie ein gelinder Faustschlag.
Wir gehen zum Haupteingang der Dreieingangshöhle und vermessen zunächst den Scherbenschluf, den weitgehend verschütteten rechten Eingang. Danach sind wir froh, uns wieder in den kühlen Schoß von Mutter Erde begeben zu können und messen den Hauptgang der Höhle entlang. Nach rechts geht es weiter in die Lagerhalle und von dort arbeiten wir uns durch den Geröllgang in Richtung Engpass zur Gegenhöhle. Der letzte Messpunkt sitzt auf dem Klemmblock, an dem Rudi zuvor seine Füße hatte.
Retour in den Hauptgang. Den vermessen wir weiter zur Nassen Halle und quälen uns dann durch den engen Schluf zum Endversturz. Wir messen den Schuttkegel hoch und beenden die Arbeit in der 1990 entdeckten hohen Endhalle über dem Versturz. Dieser Höhlenteil ist sehr feucht und innerhalb kurzer Zeit sind unsere Klamotten und die Instrumente mit einer Lehmschicht überzogen.
Wir zwängen unsere Gesäße wieder raus und nehmen als letzten Posten den in der Nähe des Eingangs nach links abzweigenden Seitengang in Angriff. Dieser verwandelt sich rasch in eine hohe und schmale Spalte. Zur Strafverschärfung wird die Spalte durch ein paar Klemmblöcke teilweise versperrt. Für mich ist die Spalte um ein paar Millimeter zu schmal, doch Irene schafft es nach ein paar Anläufen. Aber auch für sie ist die Spalte das Äußerste und gerade noch machbar. Irene setzt in der stark verlehmten Endkammer den letzten Messpunkt und ich peile durch die Engstelle hinein. Geschafft, der gesamte Messzug ist abgeschlossen! Gegen halb ein Uhr am Morgen kommen wir wieder Zuhause an.
Inzwischen sind die Messwerte im Computer und es ergibt sich folgendes Bild. Der Knick im letzten Teil des Geröllgangs und der Gegenhöhle existiert wirklich. In dieser Hinsicht stimmt der dreißig Jahre alte Plan.
Wir haben in der Nacht insgesamt 171 m vermessen, wovon 110 m unter Tage liegen. Aufgrund von Ganganschnitten, halben Hallenrundzügen usw. dürfte die Gesamtlänge der Höhle etwas geringer sein. Genau kann man das sagen, sobald nach einer weiteren Tour die Raummaße vorliegen. Die vertikale Ausdehnung der Höhle beträgt 16,6 m, gemessen zwischen der Decke der Versturzhalle (höchster Punkt) und dem Eingang der Gegenhöhle (tiefster Punkt).
Der Anschlussfehler an der Engstelle zwischen Dreieingangshöhle und Gegenhöhle beträgt gerade einmal 20 cm, was für die insgesamt sehr gute Genauigkeit der Vermessung spricht.
Die Genauigkeit des Neigungsmessers ist sehr gut. Die Schwelle von zwei Grad Differenz zwischen Hin- und Rückpeilung wurde nie überschritten, in den meisten Fällen liegt der Fehler weit darunter. Auch die Reproduzierbarkeit der Längenwerte ist gut und liegt im Zentimeterbereich. Hier gab es aber doch ein paar Ausreißer. Daher ist es wichtig, auch die Längenwerte zwischen Hin- und Rückpeilung zu vergleichen und ggf. nochmals nachzumessen. Dies geschah noch vor Ort. Dieser Fehler dürfte am häufigsten dann passieren, wenn der Laserstrahl unter einem sehr spitzen Winkel am Messpunkt auftrifft. Eine bereits getestete Abhilfe stellt ein Marmeladeglasdeckel dar, der als gut reflektierendes Target an den Messpunkt gehalten wird.
Das mit dem stärksten Fehler behaftete Instrument ist traditionell der Kompass. Damit sich der Skalenteller frei drehen kann, muss das Gerät waagrecht gehalten werden. Wenn der angepeilte Messpunkt deutlich höher oder tiefer liegt als der eigene Standpunkt, muss man im Geiste die Visierlinie nach oben oder unten verlängern und das geht oft schief. In den irregulär geformten Höhlengängen fehlt die nötige visuelle Hilfe, um sicher zu erkennen, ob die Visierlinie mit dem Messpunkt fluchtet. Daher liegen auch bei dieser Vermessung die größten Abweichungen bei Steilvisuren vor. In mäßig geneigten Gängen ist die Genauigkeit sehr gut. In den allermeisten Fällen wurde die Schwelle von zwei Grad nicht überschritten. Bei den Steilvisuren wurde in wenigen Fällen jedoch die Grenze mit Fehlern von bis zu 18° deutlich gerissen. Diese betreffen zum Glück nur Seitengänge, wo sich der Messfehler nicht auf folgende Strecken fortpflanzen kann.
Ich habe den aktuellen Messzug auch ausgedruckt und über den alten Plan gelegt. Es gibt an einigen Stellen deutliche Abweichungen. Der Plan von vor 30 Jahren ist gewiss nicht schlecht oder grundsätzlich falsch, aber die neue Vermessung ist sicher präziser. Dazu tragen die moderneren Instrumente, der erhöhte Aufwand zur Fehlerkontrolle und die weit fortgeschrittene Erfahrung bei.
Bei einer weiteren Tour muss das von dem Messzug gebildete „Skelett“ der Höhle mit weiteren Informationen ausgefüllt werden. Dazu gehören der genaue Wand- und Deckenverlauf sowie markanter Höhleninhalt wie Steine, Tropfsteine und ähnliches.