Um mich herum ist es dunkler als in der schwärzesten Nacht, nur der Lichtstrahl meiner Helmlampe geistert über zerfurchte und feucht schimmernde Felswände. Unter mir verliert sich mein Licht in der gähnenden, finsteren Leere; über mir sehe ich einen kleinen Lichtflecken, der rasch kleiner und kleiner wird. Wie weit geht es noch hinab? Jeder Ruck des Seiles belastet die Nerven bis zum Zerspringen. Von der Decke abfallende Wassertropfen glitzern durch meine Lampe kurz auf wie Edelsteine und werden dann von dem düsteren Abgrund verschluckt. Endlich tauchen die schemenhaften Konturen des Felsbodens unter mir aus der Dunkelheit auf. Geschafft, ich bin unten!
So schildert sich der Abstieg in einen mehr als 40 m tiefen Höhlenschacht der Schwäbischen Alb, in den ich mich mit zwei Freunden abgeseilt habe, um dort Untersuchungen anzustellen. Wir entnehmen unseren Spezialrucksäcken, den sog. „Schleifsäcken“, Thermometer und Hygrometer, um die Temperatur und die Feuchtigkeit der Höhlenluft zu messen. Die Geräte zeigen 8,2 Grad und 89 % Luftfeuchte an, typische Werte für Albhöhlen.
Warum machen wir diese Messungen, welcher Sinn verbirgt sich dahinter?
Wir wollen herausfinden, ob schädliche, mit ungeklärten Abwässern an der Erdoberfläche versickernde Bakterien in Höhlen lebensfähig sind und zu einer Verseuchung des Grundwassers führen können. Da neben dem Nahrungsangebot die Wärme und die Feuchtigkeit Parameter für die Lebenstätigkeit von Mikroorganismen darstellen, müssen wir diese Werte kennen.
Durch unsere Untersuchungen stellt sich heraus, dass Bakterien in Höhlen lange nicht absterben und daher das Grundwasser verunreinigen können. Wenn in einem Karstgebiet eine Quelle zur Trinkwasserversorgung erschlossen werden soll, dann versuchen Höhlenforscher, ob sie den unterirdischen Bachlauf verfolgen können, um zu klären, ob es im Berg ausreichende Wasservorräte gibt und ob sie verschmutzungsgefährdet sind. Gerade im Bereich der Karsthydrologie ist die Höhlenkunde auch für die Allgemeinheit von wertvoller Bedeutung. Deshalb ist die Suche nach reinem Wasser, unser aller Lebenselement, sowie die Reinhaltung desselben eine wichtige Aufgabe der Höhlenforscher heute und in der Zukunft.
Häufig wird zur Erkundung unterirdischer Wasserläufe, die dem Menschen unzugänglich sind, die Technik der Tracermarkierung verwendet. Man gibt an der Stelle, an der das Wasser im Boden verschwindet, einen Stoff ein, der im Wasser leicht nachweisbar ist. Früher war dies Salz, das am Geschmack identifiziert wurde, heute benutzt man den intensiv gelbgrün schillernden Farbstoff Fluorescein. Dieser kann noch in einer Verdünnung von 1: 10 Millionen erkannt werden!
Aber nicht nur wegen der Trinkwasserversorgung ist es sinnvoll, die Lage und den Verlauf von Höhlen zu kennen. Auch bei Großbauten ist dieses Wissen von Nutzen. Als der Nil am Assuan-Stausee aufgestaut werden sollte, wurde bemerkt, dass ein erheblicher Teil des Wassers durch unbekannte Höhlen zum Roten Meer abfloss! Dies hatte zur Folge, dass das Nilwasser nur begrenzt genutzt werden konnte. In vielen Höhlengegenden, auch in Deutschland, werden beim Häuser- und Straßenbau oftmals Höhlen angeschnitten. Hier muss entschieden werden, ob das Gestein dadurch noch tragfähig genug ist, um überbaut werden zu können. Allerdings ist es nicht selten eine Fehlentscheidung, wenn man sich zur oft überflüssigen und kostenspieligen Zerstörung einer Höhle durch Verfüllung mit Beton entschließt.
Wir haben unsere Messungen beendet und bereiten uns auf den Rückweg vor. Als ich beim Packen der Schleifsäcke am Boden sitze, bemerke ich ein Tier auf den Felsen, das rasch zwischen den Steinen verschwinden will. Wir reagieren schnell, schon bald ist es gefangen. Es handelt sich um einen Laufkäfer, der vermutlich durch den Eingang herabgefallen ist. Nach einem kurzen Blitzlichtgewitter wird er wieder in seine dunkle Freiheit entlassen.
Keineswegs sind die dunklen Tiefen völlig lebensfeindlich. Die finsteren Regionen unseres Planeten bedeuten für die meisten Lebewesen den sicheren Tod, für andere aber, die sich im Laufe von Jahrhunderttausenden an die extremen Bedingungen angepasst haben, sind sie ein Paradies. Die Höhlenverhältnisse – Kälte, Dunkelheit und karges Nahrungsangebot – die für die allermeisten Organismen lebensbedrohend sind, sind für jene Lebenskünstler unter der Erde von Vorteil. Die Temperatur ist zwar niedrig, aber konstant. Weder extreme Hitze oder Kälte belasten den Organismus der Höhlentiere. Die Dunkelheit schützt einerseits vor vielen Fressfeinden und andererseits vor der gefährlichen ultravioletten Strahlung der Sonne, welche die Bewohner der Erdoberfläche mittels Fell, Federn oder Hautpigmenten abwehren müssen. Pigmente werden für Höhlenbewohner entbehrlich, weshalb echte Höhlentiere meist blass und fahl sind. Auch die Flügel verkümmern, da ohne Licht ein gezieltes Fliegen unmöglich ist.
Wie ist das dann mit den Fledermäusen, die eben doch bei Nacht fliegen?
Schon der im 18. Jahrhundert lebende italienische Biologe Spallanzani befasste sich mit Fledermäusen und schrieb deren Orientierungsvermögen einem unbekannten „7. Sinn“ zu. 1938 wurde das Rätsel gelöst: Die Fledermäuse benutzen eine Art Radarortung. Sie stoßen Schreie von dermaßen hoher Frequenz aus, dass sie für den Menschen unhörbar sind. Diese werden von Hindernissen reflektiert. Aus Art und Richtung des Echos können die wendigen Flieger auf die Entfernung des Hindernisses schließen und so auch bei Nacht sicher fliegen. Leider spuken auch heute noch absurde Vorstellungen durch die Köpfe der Menschen: Die Tiere seien ekelhaft und würden besonders Frauen nachts heimtückisch anfallen. Jeder, der einmal eine Fledermaus auf einem Foto gesehen hat, wird das erste Urteil widerrufen müssen, denn diese – mit den Spitzmäusen entfernt verwandten – Säuger zeichnen sich durch geradezu possierliche Gesichter aus. Die Gefährlichkeit der zu den Chiropteren (Armflügler) zählenden Tiere ist nicht nur übertrieben dargestellt, sie sind im Gegenteil völlig harmlos. Die vermeintlichen „Fledermausangriffe“ zeigen nur die Schwächen der Radarortung auf: Fülliges Frauenhaar schluckt den Ultraschallimpuls, so dass die Fledermaus den plötzlich in ihrem Weg auftauchenden „Fremdkörper“ wegen des fehlenden Echos „übersieht“. Übrigens müssten die Fledertiere eigentlich die Freunde aller Landwirte sein, da sie Unmengen von Schadinsekten vertilgen: Jedes Individuum verzehrt pro Nacht eine Insektenzahl, deren Masse dem eigenen Körpergewicht entspricht!
Das bekannteste Höhlentier ist der Grottenolm, ein blass-fleischfarbener, augenloser und kiementragender Molch, der nur in einigen bestimmten Höhlen Sloweniens und Bosniens vorkommt. In Deutschland gibt es nur wenige echte Höhlentiere, die – im Gegensatz etwa zu dem erwähnten Laufkäfer – voll an das Höhlenleben angepasst sind. Dazu zählen die bis zu zwei Zentimeter langen Brunnenkrebse und die gerade millimeterlangen Springschwänze.
Die Höhlentiere sind auf die Nahrung angewiesen, die vom Wasser eingespült oder vom Luftzug eingeweht wird. Diese Nahrung ist sehr knapp, doch wurde festgestellt, dass Grottenolme ein Jahr oder länger ohne zu fressen überleben können! So können sie die Pausen zwischen den frühjährlichen Hochwässern, bei denen viele organische Substanzen eingespült werden, überdauern.
Bisher war nur von Tieren die Rede. Dies ist nicht weiter verwunderlich, denn grüne, Photosynthese betreibende Pflanzen können in Höhlen nicht existieren. Sie besiedeln allenfalls die Dämmerungszone in Eingangsnähe in Form von Moos- und Algenüberzügen auf den Felsen. Die einzigen Höhlenpflanzen sind Pilze, die sich von totem organischen Material ernähren und dazu des Lichtes nicht bedürfen.
Daran muss ich denken, während meine Freunde nacheinander am Seil aufsteigen. Durch die Warterei ist mir kühl geworden, ich fröstle in meinen vom Tropfwasser durchfeuchteten Kleidern und sehe, wie das Flämmchen meiner Karbidlampe immer kleiner wird. Offenbar sind wir heute nicht mehr so gut an die Höhlen angepasst wie unser Vorfahr, der „Höhlenmensch“. Doch war dies jemals der Fall?
Der Mensch der Steinzeit, der keine geeigneten Hilfsmittel besaß, konnte kaum tiefer in den Berg eindringen. Was sollte er auch dort, wo es feucht, dunkel und schmutzig ist? Die Menschen bewohnten nur die Eingangsregion der Höhlen oder Felsnischen, die noch vom Tageslicht erhellt wurden. Diese boten in der Kindheit der Menschheitsgeschichte Schutz vor wilden Tieren, Kälte, Regen und Wind. Dort hausten die Menschen solange, wie in den umgebenden Wäldern oder Steppen noch genügend Wild zu finden war. Zogen die Tierherden weiter, mussten sie ihr zuhause verlassen und den Tieren auf ihrer Wanderung folgen.
Die von den Steinzeitmenschen hinterlassenen Relikte sind Jahrmillionen alt. Einige der ältesten Überreste, die vom Vormenschen Australopithecus hinterlassen wurden, fand man in südostafrikanischen Höhlen.
Da die Hohlräume gut vor Verwitterung schützen, haben sich die Überreste der Urmenschen sowie ihrer Werkzeuge und Beutetiere gut erhalten. Höhlen wurden so zu den Schatzkammern der Urgeschichtsforschung.
Während sich die Besiedlung der Höhleneingänge von der frühsten Menschheitsgeschichte vor zwei Millionen Jahren bis zum Ende der Mittleren Steinzeit, ca. 6000 v. Chr., nahezu kontinuierlich belegen lässt, bewohnte der Mensch das Höhleninnere nie. Und doch hinterließ er dort die wohl beeindruckendsten Zeugnisse seiner Kultur, die Höhlenmalereien. Bemalte Höhlen finden sich vor allem in Südfrankreich und Nordspanien. Die Malereien, die durch einen außerordentlichen Naturalismus gekennzeichnet sind, stammen hauptsächlich aus der jüngeren Altsteinzeit. Man ist der Meinung, dass die Höhlenmalereien eine kultische Funktion hatten. Es sollten die dargestellten Tiere durch einen Zauber gebannt und dadurch das Jagdglück erzwungen werden. Offenbar glaubte sich der Mensch in den Höhlen jenen Geistern und Dämonen näher, die er mit seinen Kulthandlungen beschwor. Allerdings lässt es sich schwer abstreiten, dass der Steinzeitmensch wahrscheinlich auch einem kreativen Drang folgte, als er seine unterirdischen Werke schuf. War die Höhle für ihn eine Basilika oder eine Kunstgalerie? Vermutlich von beidem etwas. Bezeichnenderweise endete die Höhlennutzung mit dem Beginn der Jungsteinzeit, als der Mensch durch die Erfindung von Ackerbau und Viehzucht sesshaft wurde. Jetzt konnte er es sich leisten, wohnliche Häuser zu bauen, da er nicht mehr dem Zyklus der Tierwanderungen unterworfen dazu gezwungen war, sein Heim alle paar Wochen aufzugeben.
Der Steinzeitmensch drang nie tiefer in Höhlen ein. Die „Befahrung“, wie das Begehen von Höhlen im Jargon heißt, ist ein Produkt unseres wissenschaftlichen Zeitalters. Die älteste bekannte Höhlenfahrt aus reiner Neugier führte der Assyrerkönig Salmanassar III. im Jahre 852 v. Chr. durch, der Höhlen im Quellgebiet des Tigris besuchte. Die älteste Beschreibung einer deutschen Höhle stammt von dem Dominikanerprior Felix Fabri, der von 1470 bis 1502 in Ulm lebte. Ein erstaunlich realistischer Bericht über eine Höhle der Fränkischen Alb ist aus dem Jahre 1535 erhalten. Um 1680 führte Freih. v. Valvasor in Jugoslawien regelrechte Expeditionen durch.
Trotz allem waren dies im wesentlichen Einzeltaten. Einen gewissen Aufschwung erhielt die Höhlenkunde in den Jahrzehnten nach der Aufklärung, als sich die Menschen einerseits wieder auf die Natur besannen und andererseits der Entwicklung der Naturwissenschaften ein enormer Vorschub geleistet wurde. Gelehrte und Künstler, Reisende und Dichter befassten sich mit Höhlen.
Gegen Ende des 18. Jahrhunderts beschrieb Rosenmüller ein bisher unbekanntes Urzeitwesen, den Höhlenbären, dessen Überreste man in fränkischen Höhlen gefunden hatte. 1812 formulierte Georges Cuvier eine Theorie über das Tropfsteinwachstum, die später durch den Chemiker Justus v. Liebig verbessert wurde. 1829 besuchte der Komponist Felix Mendelssohn-Bartholdy die Fingalshöhle auf der Hebrideninsel Staffa. Die Impressionen dieser Höhlenfahrt fanden ihren künstlerischen Niederschlag in der Overtüre „Die Hebriden“.
Ab 1880 machten einige Höhlenpioniere wie E.-A. Martel in Frankreich, F. Kraus in Österreich und K. Gussmann in Deutschland die Höhlenkunde populär. Vor über 100 Jahren, 1889, rief Gussmann mit dem „Schwäbischen Höhlenverein“ die erste höhlenkundliche Organisation Deutschlands ins Leben.
„Seil frei!“ Der Ruf hallt von den Felswänden wider. Endlich sind meine Freunde oben. Ich trete zum freihängenden Seil, klinke meine Steigklemmen ein und steige dann zügig und gleichmäßig nach oben, dem Licht entgegen. So leicht hatte man es vor 100 Jahren nicht! Ich stelle mir vor, wie damals die Höhlenfahrt abgelaufen wäre, die wir heute vollzogen haben. Fast zehn Mann hätte man gebraucht, um die sperrigen Strickleitern zu tragen, die aus Hanfseilen und Rundhölzern gefertigt waren. Da Hanfseile leicht abgenutzt werden und in der Nässe schnell faulen, war die Festigkeit der Leitern unberechenbar, weshalb jeder Kletterer, nachdem die Leitern endlich verknotet und in den Schacht abgelassen waren, zusätzlich über ein Seil gesichert wurde. Die Sicherungsleine musste vom Eingang aus von etwa zwei Leuten bedient werden, während der Rest der Mannschaft den Abstieg wagte. Kerzen spendeten Licht und mit Papier ausgestopfte Filzhüte schützten vor Steinschlag. Insgesamt waren die frühen Forscher sicher stundenlang unterwegs. Wie sind wir dagegen vorgegangen? Ein kurzer Fußmarsch brachte uns vom Parkplatz zur Höhle, wo sofort das etwa 10 mm starke Polyamidseil, das mit bis zu zweieinhalb Tonnen belastet werden kann, in die Tiefe abgelassen wurde. In die Höhlenoveralls gehüllt, die man kurz als „Schlaz“ bezeichnet, seilten wir uns nacheinander mit der Petzl-Bremse in den Schacht ab, wobei jeder Forscher unabhängig von seinen Kollegen operiert, da diese Einseiltechnik das Sicherungspersonal entbehrlich macht. Durch diese moderne Ausrüstung sind Expeditionen möglich, von denen man vor wenigen Jahren nur träumen konnte!
Beim Klettern bemerke ich eine Spalte, die das ganze Gestein zerrissen zu haben scheint. Es ist eine Störungszone, auf der sich die Höhle entwickelt hat.
Höhlen sind in vielen Gesteinen verbreitet, wirklich große Exemplare findet man aber nur in Gips, Kalk und Dolomit. Diese Gesteine besitzen eine besondere Eigenschaft: sie sind wasserlöslich und somit verkarstungsfähig. „Karst“, das ist der Name einer Landschaft im Grenzgebiet zwischen Slowenien und Italien, in der es viele Höhlen gibt. Von dort haben alle Gegenden der Welt, in denen vergleichbare Phänomene existieren, den Namen „Karstgebiete“ erhalten.
Mit wasserlöslichem Gestein ist natürlich nicht gemeint, dass sich ein Felsbrocken in Wasser löst wie ein Stück Würfelzucker, aber besonders Gips wird im Laufe von Jahrtausenden tatsächlich vom Regen gelöst und ausgelaugt. Bei Kalk und Dolomit müsste man eher von Korrosion sprechen, denn diese Gesteine sind in reinem Wasser fast unlöslich. Nun ist Regenwasser aber nicht rein, sondern es enthält eine schwache Säure, die Kohlensäure, welche aber mit dem „sauren Regen“ nichts zu tun hat. Sie entsteht dadurch, wenn Kohlendioxid aus der Luft mit Wasser reagiert. Obwohl die Säure sehr schwach ist – Mineralwasser, an dessen Bekömmlichkeit niemand etwas zu bemängeln hat, enthält mehr – ist sie in der Lage, in langen Zeiträumen mit Kalk und Dolomit zu reagieren. In Regenwasser lösen sich pro Liter etwa 13-14 mg Kalk. Wenn das Wasser aber durch den Humusboden sickert, der viel Kohlendioxid enthält, wird es mit Kohlensäure angereichert und vermag dann eine bis zu 100-fache Menge Kalk zu lösen.
Abermilliarden winziger Lebewesen mussten sterben, damit sich am Grunde der Urozeane mächtige Kalkschlammschichten ablagern konnten, die aus den Schalen und Gehäusen der Organismen bestanden. Die Schichten verfestigten sich durch den Druck der überlagernden Massen und wurden durch die Driftbewegungen der Kontinente angehoben und zu Gebirgen gefaltet. Durch die ungeheuren Kräfte bekam das Gestein unzählige Risse und Klüfte. Durch diese dringt das Wasser ins Gebirge ein und höhlt es von innen her aus.
Das Wasser sucht sich seinen Weg im Berg von der Erdoberfläche aus nach unten, wo es über der Talsohle wieder ans Tageslicht tritt.
In den völlig wassererfüllten Gängen, die auch als „phreatisch“ bezeichnet werden, wirkt die Gesteinsauflösung nach allen Seiten. Im Idealfall bilden sich röhrenförmige Gänge aus. Wenn der im Tal fließende Bach, der Vorfluter, die Talsohle immer tiefer eingräbt, muss sich dies auf den Wasserstand in der Höhle auswirken, der ständig absinkt. Der Höhlenbach schneidet sich immer mehr in den Höhlenboden ein und dadurch entstehen schließlich „vadose“ Schluchten und Canyons.
So entwickelten sich in langen Zeiträumen große Systeme. In der Tat sind die Dimensionen einiger großer Höhlen schlichtweg unvorstellbar. Die längste Höhle der Erde, die Mammoth Cave, USA, bildet ein gewaltiges System von 560 km Länge! Die tiefste Höhle, die Voronya-Höhle im Kaukasus, reicht 1710 m in die Tiefe. Auf der Insel Borneo existiert eine freitragende unterirdische Halle von mehr als 1000 m Länge! Die deutschen Höhlen bleiben hinter diesen Maßen weit zurück. Die längste Höhle Deutschlands, die Salzgrabenhöhle in Bayern, ist etwas über 9 km lang und die tiefste Höhle, der Geburtstagschacht, reicht 598 m in den Untergrund hinab.
Auch was den Tropfsteinschmuck anbetrifft, geben sich unsere Höhlen etwas bescheidener als jene anderer Länder. Wie entstehen die Tropfsteine mit ihren unzähligen Formen?
Die Tropfsteinbildung ist die Umkehrung der Höhlenentstehung. Auf seinem Weg durch die Klüfte hat sich das Wasser mit Kalk angereichert. Tritt es in einen Hohlraum ein, gibt es Kohlendioxid an die Umgebungsluft ab, was zur Folge hat, dass der gelöste Kalk als Tropfstein, oder allgemeiner, als „Sinter“ auskristallisiert. Die Art und Weise, wie der Wassertropfen in der Höhle abrinnt, entscheidet über die entstehende Tropfsteinform. Hängt der Tropfen, bevor er abfällt, längere Zeit an der Decke, scheidet sich der Kalk an der Oberfläche des Tropfens ab. Die Projektion eines Tropfens in die Ebene ist ein Kreis, weshalb sich der Kalk ringförmig an der Decke absetzt. Der nächste Tropfen tritt durch diesen Ring hindurch, lagert weiteren Kalk ab, so dass Ring auf Ring wächst. Ein Deckentropfstein, Stalaktit genannt, bildet sich. Die am Boden aufschlagenden Tropfen lagern eine Kalkkruste auf der anderen ab- ein Bodentropfstein, Stalagmit, wächst dem Stalaktiten entgegen und vereinigt sich manchmal mit ihm zu einer Säule.
Rinnen die Tropfen an der Wand ab, bildet sich eine Kalkspur. Durch fortschreitende Kalkablagerung bilden sich Sinterfahnen, die gelegentlich durchscheinend sind wie chinesisches Porzellan.
Eine seltene Tropfsteinart sind die „Excentriques“, die nicht einfach nach unten, sondern auch seitwärts oder nach oben wachsen und so Gebilde ausformen, die nicht der Gravitation zu gehorchen scheinen. Manchmal sehen diese extravaganten Gebilde aus wie versteinerte Wurzeln, häufig jedoch wie Korkenzieher. Ihre Entstehung ist noch nicht ganz gesichert, aber man vermutet, dass Verunreinigungen im Wasser die Kristallisation beeinflussen. Es lagert sich Schmutz in die wachsenden, mikroskopisch kleinen Kristalle ein, die dadurch verzerrt werden. Die Form der Kristalle bestimmt die Richtung des weiteren Wachstums.
Wir haben den Eingang erreicht und treten ins Freie, die Sonne blendet uns nach dem stundenlangen Aufenthalt in der dunklen Tiefe. Uns wurde wieder bewusst, dass Höhlen sehr empfindliche ökologische Systeme bilden und mitsamt ihrem Inhalt, den Tieren und den hunderttausende Jahre alten Tropfsteinen, dringend der Erhaltung und des Schutzes bedürfen.
Viele Höhlen wurden vom Tourismus zerstört und die Reaktion der staatlichen Naturschutzbehörden war stellenweise drastisch: In mehreren Gebieten der Schwäbischen Alb etwa dürfen Höhlen grundsätzlich nicht mehr betreten werden! Das wird leider eine Hemmung der seriösen Forschung bewirken. Der wirkliche Naturfreund betritt eine Höhle nie mit einer qualmenden Fackel, die alles verrußt, sondern mit einer Taschen- oder Karbidlampe. Ebenso wenig wird er Abfälle wegwerfen, Inschriften an den Wänden hinterlassen oder Tropfsteine abschlagen. Wegen der sehr empfindlichen, vom Aussterben bedrohten Fledermäuse, die um diese Zeit überwintern, sollen Höhlen zwischen dem 15. November und 15. April jeden Jahres nicht betreten werden. So kann jeder einen Beitrag dazu leisten, dass ein Teil der Natur, dem sonst wenig Beachtung geschenkt wird, den kommenden Generationen im Urzustand erhalten bleibt.
Folgende Bücher können aufgrund ihrer inhaltlichen Darstellung sowie ihrer exzellenten Fotos besonders als weiterführende Lektüre empfohlen werden:
Bauer, E. W. (1971): Höhlen. Welt ohne Sonne.- Esslingen (J. F. Schreiber)
Lalou, J.- C. & Wenger, R. (1991): In den Höhlen der Welt.- Lausanne (Mondo)