Rapa Nui- Höhlenforschung im Paradies

Am 6. Januar flimmerte in unzähligen deutschen Wohnzimmern „Rapa Nui -Rebellion im Paradies“ über die Fernseher, der Film, der 1994 ein großes Interesse an der Osterinsel hervorgerufen hatte. Die „Höhlenperle“, immer auf der Höhe des Zeitgeistes, nimmt diesen Film daher zum Anlaß, sich mal etwas tiefer mit der Osterinsel zu beschäftigen, also mal in das Innere der Insel, das heißt, in die Höhlen zu schauen.

Weit draußen im Pazifik, genau auf 109º26´westlicher Länge und 27º9´südlicher Breite, ragt eine Insel aus dem Meer, die wegen ihrer Entdeckung am Ostermontag 1722 durch den holländischen Admiral Roggeveen „Osterinsel“ genannt wird. Entdeckung ist hier aber vielleicht doch nicht das richtige Wort, denn Herr Roggeveen stieß nicht auf ein menschenleeres Eiland, sondern auf Einwohner mit rätselhafter Herkunft und Kulturgeschichte.

„Vor einigen Millionen Jahren riß in den Tiefen des pazifischen Ozeans die dünne Erdkruste auf, Lavamassen überformten den Meeresgrund und türmten sich an einigen Stellen so gewaltig hoch auf, dass Inseln aus dem Meer wuchsen. Die Gesellschaftsinseln mit Tahiti und die Hawaii-Inselgruppe entstanden, und irgendwann erschien als einzige größere Insel auf dem ostpazifischen Rücken die Osterinsel. Sie ist also im Grunde nicht viel mehr als ein großer Lava-Brocken. … Das Gestein ist so porös, dass sich trotz der regelmäßigen und kräftigen Regenfälle kein Bachlauf bildet, denn das Wasser versickert über unterirdische Abflüsse“ 1.

Trotzdem bildeten sich in einigen der etwa siebzig Krater Kraterseen von bis zu 280 Metern Tiefe. Höhlen gibt es zahlreiche, ihre Entstehung ist jedoch unterschiedlich. Zum einen nagt natürlich der Ozean an dem Fetzelchen Land. Dadurch entstehen an der Küste verschiedene größere Grotten, eine davon kam auch öfters im Film vor. Andere scheinen hauptsächlich aus verwinkelten Klüften zu bestehen, wie die Schilderungen des Norwegers Thor Heyerdahl, der 1947 versuchte die Insel mit einem Floß von Südamerika aus zu erreichen, es nahelegen. Er war so von der Insel und ihren steinernen Kolossen fasziniert, dass er 1955/56 nochmals mit einem Expertenteam dorthin fuhr. Ihm verdanken wir heute die Grundlagen unseres Wissens über die Insel.

Eine Höhle, die auch im Film eine große Rolle spielt, ist die Jungfrauenhöhle. In ihr wurden junge Frauen lange Zeit eingesperrt, um ihre Haut zu bleichen, und sie so auf bestimmte religiöse Feste vorzubereiten. Der Eingang zur Jungfrauenhöhle Ana o Keke liegt an der östlichsten Spitze der Insel. Der Name bedeutet: „Höhle zur Inklination der Sonne.“ Nach einer waghalsigen Kletterei auf einem schmalen Felsband an einer sturmumtosten Klippe erreichte Heyerdahl schließlich eine Felsnase, und umrundete sie vorsichtig, im Vertrauen auf den Inselpfarrer Pater Sebastian, der ihm vorausgeklettert war, und der die Höhle schon einmal besucht hatte:

„Hier war nur ein einziger Tritt, etwas, was wie ein vertrockneter Erdklumpen aussah und von der Felswand durch einen tiefen Riß getrennt war. … Ich schlug versuchsweise mit dem Fuß dagegen, freilich nicht allzu kräftig. Dann schob ich den Kopf um die Felsnase – und da lag der Pater und lachte mir entgegen. Kopf und Schultern ragten aus einem Loch in der Wand, das gerade halb so hoch war wie der Eingang einer Hundehütte. … Dann rutschte er rückwärts in den engen Kanal, damit auch ich Platz bekäme, denn unter der Öffnung stürzte die Felswand senkrecht in die Tiefe. Ich schob mich bis zu dem Absatz vor der Höhle und zwängte mich nach ihm hinein. Lärm, Wind und Sonne verschwanden, es war fürchterlich eng, aber die Decke wölbte sich bald höher. Im Schoße des Felsens herrschte unerschütterliche Ruhe und Sicherheit. Ein schmaler Lichtstrahl schlüpfte herein, so dass wir einander im Halbdunkel erkennen konnten. Beim Schein der Taschenlampe sah ich, dass seltsame Zeichen und Figuren die Wände bedeckten. Das war also die Jungfrauenhöhle. Hier mussten einst die armen Mädchen wochen-, vielleicht gar monatelang sitzen und warten, bis ihre Haut so bleich wurde, dass man sie dem Volk vorstellen konnte. Die Höhle war nicht einmal eineinhalb Meter hoch und bot höchstens für ein Dutzend Kinder Platz, wenn sie sich an den Wänden entlang niedersetzten. … Die Höhle verzweigte sich, aber bald liefen die Gänge wieder zu einer schmalen Passage zusammen, durch die wir kriechen mussten. Dann hob sich die Decke, und wir befanden uns in einem langen Tunnel, der so hoch und geräumig war, dass wir laufen konnten, um Zeit zu sparen. … Tief drinnen im Berg kamen wir an eine Stelle, wo der Grund lehmig und von Wasser überspült war. Hier wurde die Decke immer niedriger. Wir mussten uns ducken und auf Händen und Füßen durch Wasser und Schlamm vorwärtskriechen. Aber dann wurde es noch flacher, und schließlich konnten wir uns nur noch auf den Bauch legen und unter den Felsmassen vorschieben, während das eiskalte Naß uns durch Hemd und Hosen drang. … Obgleich ich mit halbem Körper in Wasser und Schlamm lag, kam die Decke so tief herab, dass ich mich immer wieder vergeblich vortastete, ohne einen Ausweg zu finden. Die Taschenlampe war wasserdicht, aber es war hoffnungslos, das Glas sauber zu halten, wenn ich selber in den Morast gequetscht wurde. … Langsam drängte ich den Brustkorb hinein und spürte, dass ich zur Not noch weiterkäme, falls es nicht ärger würde. Während der Schlamm sich zur Seite schob, der harte Berg von oben und unten auf mich drückte, zwängte ich mich Zoll um Zoll durch den Spalt. … Ganze fünf Meter mussten wir uns durch diesen Schraubstock zwängen, der unsere Rippen umklammert hielt, dann waren wir durch das Nadelöhr, und kamen in den Teil, wo die Skelette lagen. Hier war es wieder trocken und mehr Platz unter der Decke, so dass wir abwechselnd auf allen Vieren und mit kleinen Schritten die Gänge entlangtappen konnten. … Der Gang endete schließlich in einer glatten, steilen Lehmwand, die zu einer Öffnung in der Decke hinaufführte. Nach mehrfachem Zurückrutschen gelang es mir endlich, mich hochzustemmen. Ich kam in eine kleine glockenförmige Kuppel, die aussah, als wäre sie von Menschenhand gemacht. Aber es war wieder nur eine Gasblase im Gestein. Hier hatte Pater Sebastian ein Lichtstümpfchen hinterlassen. Ich probierte Pater Sebastians Kerze, aber sie wollte nicht brennen. Auch mit den Streichhölzern stimmte etwas nicht. Ich fühlte, wie mir der Schweiß auf die Stirn trat; die Luft war schlecht hier drinnen. Schnell rutschte ich also den Lehmgang wieder hinunter zu meinem schlammbedeckten Gefährten, der auf mich wartete, und dann machten wir uns eiligst auf den Rückweg, so rasch es das elende Licht und die niedrige Decke zuließen. Wie wir da schlichen und krochen, sahen wir wie zwei Gestalten aus der Unterwelt aus, und so fühlten wir uns auch. Durch Wasser und Schlamm ging es mit Scherzworten wieder in die Spalte hinein, die zu dem scheußlichen Nadelöhr führte. Der Eingeborene folgte mir dicht auf den Fersen, Zoll um Zoll schraubten wir uns weiter. Wir spürten den gnadenlosen Griff der Felsen um unsere Brust, der sich nicht um Haaresbreite für zwei Menschenleiber öffnen wollte. Schon beim Hereinschieben war es ein langes Stück gewesen, jetzt aber kam es mir noch länger vor. Wir versuchten noch immer, die Sache spaßhaft zu nehmen; bald mussten wir ja durch sein. Aber ich fühlte mich unbehaglich naß und verschmiert, der Schweiß rann mir über die Stirn, und meine Kräfte gingen zu Ende. Die Luft war schlecht. Nach einer Weile verstummten wir, quälten uns nur noch damit ab, den Körper mit ausgestreckten Armen weiterzuschieben, ohne dass die Lampe in den Schlamm tauchte. War der Spalt zuvor nicht breiter gewesen? Merkwürdig, dass diese enge Passage immer weiter ging, dass wir nicht bald den äußeren Tunnel erreichten. Mein erschöpftes Hirn wunderte sich einen Augenblick darüber, während ich mich unablässig vorschob. Da sah ich beim schwachen Schein der Lampe, dicht vor meiner Nase, einen Knick nach aufwärts. Wie konnte man den Körper hier noch durchzwängen? Vielleicht war der Knick in umgekehrter Richtung viel leichter zu passieren gewesen, so dass ich gar nicht gemerkt hatte, wie schwer es sein würde, auf dem Rückweg durchzukommen. Seltsam, dass ich mich gar nicht daran erinnern konnte. 2

Mit aller Kraft stemmte ich den Körper ein Stück weiter und versuchte, in meiner verkrampften Stellung durch die Öffnung nach oben zu blicken, während Millionen Tonnen Fels auf mir lasteten. Zu meinem Schrecken merkte ich, dass hier irgend etwas nicht stimmte. Dieser Knick war unpassierbar.

‚Hier geht es nicht mehr weiter‘, sagte ich zu dem Mann, der dicht an meinen Fersen lag. Der Schweiß strömte mir über das Gesicht. ‚Nur weiter Señor‘, ächzte er, ‚es gibt keinen anderen Ausgang.‘ Ich presste mich noch ein winziges Stück vor, den Kopf zur Seite gedreht, um Platz zwischen den engen Steinflächen zu bekommen, meine Brust war teuflisch eingeklemmt. Da sah ich, als ich das Licht ein wenig hob, dass das Loch über mir viel kleiner war als mein Kopf. Hier war es ganz unmöglich durchzukommen…

‚Wir müssen zurück!‘ sagte ich zu meinem Hintermann. ‚Es geht hier nicht weiter‘. Er weigerte sich entschieden und bat mich inständig, weiterzukriechen; es sei der einzige Ausweg aus dieser Hölle. Das konnte nicht gut möglich sein. Ich knipste wieder die Lampe an, schob mich ein wenig zurück und betrachtete den Boden vor meinen Händen. Er sah aus wie eine Mischung aus Erde und halb trockenem Lehm. Der Abdruck meines Hemdes und der Knöpfe war deutlich zu sehen, auch die Spuren meiner Finger, so weit ich mich eben vorgetastet hatte. Aber weiter vorne lagen Lehm und Stein unberührt von Mensch und Tier. Ich löschte das Licht wieder. Die Luft war schwer, die Brust wie eingeschnürt. Gesicht und Körper troffen von Schweiß. War der uralte Höhlengang eingestürzt, weil wir gesprochen und uns durchgezwängt hatten? Wenn die Decke heruntergekommen war und den ganzen Weg vor uns versperrte, wie konnten wir uns wieder ans Tageslicht graben, wenn nicht einmal Platz war, um Lehm und Gestein an uns vorbei nach hinten zu schieben? Oder krochen wir den falschen Weg, der blind endete? Wie konnte das sein, wenn die Jungfrauenhöhle in dem Teil in dem wir uns befanden, nur einen einzigen Schlauch bildete, nicht breiter als ein Mann? Der Eingeborene versperrte mir den Rückweg und drückte nach. ‚Geh zurück!‘ schrie ich. Nun begann er die Nerven zu verlieren und schob an meinen Füßen. Er hatte ja das winzige Loch nicht gesehen, und ich konnte ihn auch nicht an mir vorbeilassen, damit er sich selber überzeugte. ‚Zurück! Zurück!‘

Der Mann hinter mir schien in Panik zu geraten. Ich schrie ihn an ‚So geh doch, geh!‘ und strampelte mit den Füßen. Das half endlich. Er schob sich Zoll um Zoll zurück, und ich folgte ihm. Langsam, mit kleinen Schüben nach rückwärts ging es dahin… Plötzlich hatten wir mehr Raum über uns, wieso begriff ich nicht. Mir war ganz wirr von der schlechten Luft. Konnten wir schon bei der Stelle mit den Skeletten sein? Ich ließ die Taschenlampe aufblitzen und sah zwei Öffnungen vor mir. Der rechte führte in einem sanften Knick nach oben. Hier hatten wir uns geirrt. Wir waren nach links statt nach rechts oben geschlüpft. Ich drehte mich nach dem Eingeborenen um, der sich automatisch weiter nach rückwärts schob.

‚Hier ist die Stelle!‘ rief ich und kroch wieder in den linken Eingang. Der Schacht wurde wieder enger und enger. Es war grauenhaft. Zum Schluss ließ ich die Lampe aufleuchten und sah vor mir genau dasselbe hoffnungslose kleine Loch. Da begriff ich, dass mein Hirn nicht mehr richtig funktionierte. Ich war zum zweitenmal in die falsche Röhre gekrochen, obwohl ich ganz genau wußte, dass ich den rechten Gang zu wählen hatte. ‚Wieder zurück!‘ stöhnte ich, und diesmal ging es bei uns beiden ganz von selbst… Als wir die beiden Gänge wieder sahen, kroch ich automatisch in die rechte Öffnung und bald konnten wir uns erheben, laufen, kriechen. Wir spürten den Zug frischer, kalter Luft im Tunnel, und schließlich schlüpften wir durch die Enge hinaus in die gemütliche Höhle mit den Zeichen an den Wänden, wo unsere Freunde auf uns warteten. Es war herrlich, sich aus der Felswand wieder herauszuzwängen in den brausenden Wind. Herrlich, in das blendende Sonnenlicht und die Unendlichkeit da draußen zu blicken, unter sich den jähen Abgrund und vor sich die unbegrenzte Weite von Himmel und Meer.“ 3

Neben dieser Höhle an der Küste, gibt es auf der Osterinsel aber auch im Landesinneren verschiedene Höhlen, die von den Inselbewohnern ebenfalls benutzt wurden. Nachdem Heyerdahls Expeditionsteilnehmer ihr Vertrauen erworben hatten, wurden ihnen auch diese Höhlen gezeigt. Schon früher hatten sie dem Pfarrer immer wieder historische Stücke aus diesen Höhlen verkauft, da ihnen bekannt war, dass er sich dafür interessierte. Ende des 18. Jahrhunderts erreichte Cook die Insel, und er fertigte auch die ersten Berichte über die unterirdischen Wohnhöhlen an:

„An mehreren Stellen entdeckten die Engländer Steinhaufen mit engen Spalten, die vielleicht in unterirdische Höhlen führten. Aber jedesmal, wenn sie sie näher untersuchen wollten, hinderten die einheimischen Begleiter sie daran… Kaum zwölf Jahre nach Cooks Besuch, im Jahre 1786 erschien der Franzose La Pérouse zu einer ähnlichen Blitzvisite…und man führte die Franzosen sogar in einige der engen Steinkatakomben, die die Engländer nicht hatten betreten dürfen.“

Die ersten Befahrungen dieser Unterkünfte in Notzeiten schildert Heyerdahl in seinem Buch so:

„Da die anderen schon in ihre Ausgrabungsarbeiten vertieft waren, sattelten wir nur vier Pferde, auf denen Eroria, Mariana, der Fotograf und ich losritten, um das Höhlensystem der Insel zu erkunden. Tagelang schlüpften wir von morgens bis abends in die finsteren Löcher hinein und wieder heraus. Manche öffneten sich so weit, dass man sich nur zu bücken brauchte, um einfach hineinzuspazieren, andere waren sorgfältig mit Steinen vermauert, so dass nur ein kleines viereckiges Schlupfloch übrigblieb, durch das man auf allen Vieren hinein kriechen musste. Die meisten aber waren die reinsten Rattenlöcher, in die man weder gehen noch kriechen konnte. Man musste die Beine mit durchgedrückten Knien hineinstrecken, die Arme über den Kopf ausstrecken und sich dann mit dem Körper auf Schlangenmanier durch einen langen und scheußlich engen Schacht vorschieben… Erst nachdem ich in mehrere dieser Höhlen hinabgestiegen war, lernte ich, eine Taschenlampe am Handgelenk befestigt mitzuschleifen. So konnte ich dann den engen Schacht übersehen, wenn ich ihn passiert hatte. Er war immer aus glatten Steinblöcken ohne Zement sauber zusammengefügt und wies einen genau quadratischen Querschnitt auf wie ein enger Schornstein. Vereinzelte Steine zeigten symmetrische Bohrlöcher; sie stammten offenbar von den Grundmauern der alten Schilfhütten. Das verriet, dass die Erbauer dieser Höhleneingänge ihr helles und idyllisches Schilfhaus niedergerissen hatten, um sich in den gruseligen Rattenlöchern einzunisten.“ 4

Wie lebten nun die Insulaner in diesen kleinen Löchern? Wie versorgten sie sich mit Wasser und wie verteidigten sie sich in diesen Löchern, und wie und von was ernährten sie sich? Heyerdahl besuchte auch einige dieser Höhlen; hier sein Bericht. Nachdem er sich durch den engen Eingangsschacht gezwängt hatte, steht er in einem größeren Raum:

„Der Boden war rutschig, und ich blieb schließlich wie blind im Dunkel stehen, wartete und horchte. Ich konnte vernehmen, dass der nächste bereits unterwegs war. Nach einer Weile stand die alte Mariana an meiner Seite und zündete ihre gewohnten Kerzenstummel an. Das half nicht viel… Sie gab mir ein Lichtstümpfchen und entzündete es an dem ihren. Wenn wir die Kerzen in der ausgestreckten Hand hielten, konnten wir allmählich die Krümmungen und Vorsprünge der Wand erkennen. Auf dem Boden lagen ein paar Lanzenspitzen. Inzwischen kam auch Eroria an. Sie brauchte ihre Zeit, ächzte und pustete im Schacht, aber sie kam. Sie wußte zu berichten, dass dies keine gewöhnliche Wohnung war, sondern ein Zufluchtsort in Kriegszeiten, denn hierhin konnte kein Feind jemals folgen. Nach der Dicke der hartgetretenen Abfallschicht am Boden der Höhle zu schließen, musste es sich um zahlreiche und langwierige Fehden gehandelt haben. Es wollte mir nicht in den Kopf, wie jemand auf die Idee kam, in Kriegszeiten in solche Rattenlöcher zu kriechen. Der Feind brauchte ja bloß den Schacht mit Steinen anzufüllen, und man war eingeschlossen für alle Zeit und Ewigkeit. Aber vermutlich kam es darauf an, diese Zufluchtsräume geheimzuhalten… Zwischen den Steinen in der einen Wand bemerkten wir ein kleines Loch. Ich kroch hinein, und Mariana und Eroria folgten mir auf den Fersen. Wir gelangten in eine zweite, größere Höhle, und nachdem wir uns auch dort durch ein kleines Loch in der Rückwand hindurchgewunden hatten, kamen wir schließlich in einen gewaltigen Raum, wo sich das Dunkel so hoch über uns wölbte, dass wir bei unserer Stearinkerzenbeleuchtung nicht bis zur Decke sehen konnten. Wir gingen weiter in den Berg hinein. An einzelnen Stellen war die Höhle breit wie ein Eisenbahntunnel, an anderen mussten wir über Steine und Lehm hinwegkriechen, uns dann wieder flach auf den Boden legen und vorsichtig weiterschieben, bis die Decke von neuem zu einem riesigen Raum anstieg… In einem der Räume floss ein Wasserlauf quer über unseren Weg. Er verschwand in einem Seitengang, den wir weiter verfolgten. Dort hatten die Menschen mit großer Mühe eine schmale Führungsrinne für das strömende Nass in den Boden der Höhle gehackt. Sie leitete zu mehreren kunstvoll ausgehauenen Becken, die offenbar als Waschschüsseln dienten… Ganz tief im Berg drinnen verzweigte sich das Höhlensystem, und die letzten Durchlässe nahmen die Form niedriger Katakomben mit flachem Boden an. Dach und Wände waren gleichmäßig gewölbt, ohne irgendwelche Vorsprünge und Unebenheiten. Sie wirkten wie von Menschenhand geschaffen, doch in Wirklichkeit waren es nur Gasblasen, die sich gebildet hatten, als die ganze Osterinsel eine einzige, glühende, flüssige Lavamasse war… Wir besuchten mehrere dieser riesigen Höhlen, deren einzelne Räume wie Perlen an einer Schnur immer tiefer in die Unterwelt führten. Immer wieder waren die Öffnungen in den Berg kunstvoll vermauert, so dass man enge, senkrechte oder im Zickzack verlaufende Gänge passieren musste, in denen jeder feindliche Eindringling wehrlos gewesen wäre. In einigen der größeren Höhlen stießen wir auf Wasser; zwei davon hatten richtige Teiche unter der Erde. Am Grunde einer dritten Höhle fanden wir einen gemauerten Brunnen mit eiskaltem Wasser, umgeben von einer Pflasterung und einer drei Meter hohen Mauerterrasse. In diesen großen Zufluchtsräumen hätte man bequem die gesamte Bevölkerung der Osterinsel unterbringen können, aber alles deutete darauf hin, dass die einzelnen Höhlenzugänge je einer bestimmten Familie oder Familiengruppe gehört hatten, und zwar zu einer Zeit, als blutige Bürgerkriege auf der Insel tobten, und niemand es wagte ruhig in seinem alten Schilfhaus zu schlafen. Während ich durch die riesigen, nachtdunklen Zufluchtskeller tappte, dachte ich mir, die Menschen auf dieser sonnigen Südseeinsel seien doch recht töricht gewesen, als sie eine solche Lösung wählten, statt droben im Licht mit ihren Nachbarn in Frieden zu leben. Aber dann musste ich an die Welt des zwanzigsten Jahrhunderts denken, wo wir auch so allmählich begonnen haben, uns Zufluchtsraum tief in die Erde zu graben, aus panischer Angst, weil wir und unsere lieben Nachbarn angefangen haben, mit der Atombombe zu spielen…“5

Literaturhinweise

  1. Tönnießen, Jens: Die Osterinsel, in: Naturschutz und Naturparke, Heft 2/1996, S. 12-18, S.13
  2. Heyerdahl, Thor: Aku-Aku. Das Geheimnis der Osterinsel, Berlin, Frankfurt, Wien, 2. Aufl. 1957, S. 76-79
  3. Heyerdahl, Thor: Aku Aku, Berlin, Frankfurt, Wien, 2. Aufl. 1957, S. 79-82
  4. vgl.ebd. S. 64-68
  5. Heyerdahl, Thor: Aku Aku, Frankfurt, Berlin, Wien, 2. Aufl. 1957, S. 69-71

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